Legende: Goran

Als Sohn eines Schneiders geboren zu sein, aber nicht die nötige Geschicklichkeit für diesen Beruf zu besitzen, sollte ja eigentlich nicht so schlimm sein. Doch unter den Taripontor, die für ihre Geschicklichkeit bekannt waren, war es schon schwerer. Sicher, als junger Mann hat man meistens die Träume von einem strahlenden, erfolgreichen Krieger, aber es tut weh, den Vater enttäuschen zu müssen, vor allem als erstgeborener Sohn. Ein wenig stolz auf mich war er schon immer, denn ich war schon immer einer der Größten gewesen. Und einer der Stärksten. Ich hatte nie Probleme, mich unter den anderen Jungen zu behaupten, und hatte auch immer einige Freunde, mit denen ich oft unterwegs war, um Krieg zu spielen oder irgend etwas anzustellen. Aber Nähen... das war einfach nichts für mich. „Goran, du musst doch einmal meinen Laden übernehmen, also halt dich ran und übe, übe, übe!“ meinte mein Vater immer, aber so sehr ich es auch versuchte, am Ende sah es immer aus wie das Ergebnis eines drittklassigen Anfängers. Das war auch der Grund, warum ich irgendwann aufgab zu versuchen, es doch noch zu lernen. Ich konzentrierte mich lieber darauf, mit meinen Freunden und ein paar Holzwaffen für den „Ernstfall“ zu üben, der jede Woche mindestens einmal auftrat, als sich ein paar von uns in unserer „Burg“ gegen die anderen verteidigen mussten, die uns belagerten und uns die Vorräte abgeschnitten hatten. Wegen meiner Größe und Stärke war ich immer gefragt, egal ob bei den Angreifern oder bei den Verteidigern. Noch dazu sah ich gut aus, sonnengebräunte Haut, dunkelbraune, ein wenig gelockte Haare, so dass, als wir alle ins das richtige Alter kamen, auch die Mädchen anfingen, sich für mich zu interessieren. Ich war damals schon einen Kopf größer als alle anderen, aber ich bin leider auch heute noch nicht einer der Intelligentesten, und schüchtern war ich noch dazu, so dass ich immer einen tiefroten Kopf hatte, der dazu noch über alle anderen hinausragte, wenn die Mädchen kicherten und mir ihre Blicke zuwarfen. Irgendwann, da ich nie den ersten Schritt tat, begannen sie dann, mit mir zu sprechen, mich einzuladen oder spazieren zu gehen, aber es passierte mir immer irgendein Missgeschick, meine Unterhaltungen waren wohl nicht sehr intelligent, und meine Schüchternheit konnte ich nie richtig überwinden, so dass sie bald das Interesse an mir verloren und sich um die anderen Jungen kümmerten, bei denen sie mehr Erfolg hatten. All dies, und der Umstand, dass mein zwei Jahre jüngerer Bruder das Schneiderhandwerk um Klassen besser verstand als ich, bewog meinen Vater dazu, mich in die Stadt zu schicken, damit ich mich als Krieger bewerben konnte. Natürlich freute ich mich sehr darüber, sollte doch ein langer Kindheitstraum für mich in Erfüllung gehen. So kam es, dass ich als Soldat ausgebildet wurde. Ich hatte keine Probleme, die Prüfungen zu bestehen, die von mir verlangt wurden, und mit sechzehn Jahren war ich schon so gut wie viele der zwanzigjährigen, wenn nicht gar besser aufgrund meiner Größe und Stärke. In dieser Zeit trank ich viel und zog mit meinen Kameraden durch die Kneipen der Stadt, wo sie mit Mädels anbandelten und ich mich dem Bier hingab. Doch das sollte sich ändern. Eigentlich begann es wie so viele andere Abende, wir zogen los in den Bunten Papageien, um noch einmal richtig Spaß zu haben vor dem Übungsturnier, das am morgigen Tag anstand. Ich hatte vor, zumindest einen der vorderen Plätze zu belegen, wenn nicht gar zu gewinnen; es war das erste Turnier, an dem ich teilnehmen durfte, denn ich war gerade achtzehn geworden. Mittlerweile war ich groß geworden, etwa zwei Meter und fünfzehn Zentimeter. Damit überragte ich die meisten um ein gutes Stück. Und stark und ausdauernd war ich auch, ich hatte also gute Chancen. Ich nahm mir vor, nicht zu viel zu trinken, ich wollte beim Kampf einen klaren Kopf haben. Ich glaube, das wäre mir sogar gelungen, wenn nicht... ja, wenn nicht dieses Mädchen gewesen wäre, das zu allem Übel auch noch so saß, dass ich ihr direkt in die Augen sehen musste, wenn ich geradeaus blickte. Oh, sie war schön. Ich hatte sie noch nie hier gesehen, aber ich war fasziniert von ihrem Anblick. Langes, glattes, schwarzes Haar, dunkle Haut und braune Augen. Ich weiß nicht warum, aber alle paar Sekunden wanderten meine Augen wieder zu ihr, und wenn sie mir dann auch noch ihren Blick zuwandte, versteckte ich meinen roten Kopf hinter dem Bierkrug, den ich in der Hand hielt. Einmal, als ich zu ihr hinsah und sie mich schon anblickte, sah ich sie lächeln. Ich glaube, für ein paar Sekunden starrte ich sie nur mit offenem Mund an, dann hob ich den Bierkrug und leerte ihn in einem Zug. Eigentlich habe ich eine extrem gute Konstitution, aber ich hatte an diesem Abend schon so viel getrunken, dass das einfach zu viel war. Mir wurde schlecht, und halb schleppte ich mich, halb hastete ich nach draußen, wo ich mich in die Gosse übergab. Ich weiß nicht wie lang ich dort lag, ich glaube, irgendwann kamen meine Kameraden an mir vorbei und versuchten mich wieder zum Aufstehen zu bewegen, aber als das nicht klappte, machten sie sich schwankend selbst auf den Heimweg. Ich glaube, ich war eingeschlafen, denn plötzlich weckte mich eine Stimme, die ich vorher noch nie gehört hatte, die aber so schön in meinen Ohren klang, dass ich mich ihren Worten nicht widersetzen konnte. „Komm, steh auf, ich helfe dir“ sagte die Stimme, und irgend jemand versuchte mich hochzuziehen. Dieser Jemand war allerdings nicht sehr stark, und ohne die Wirkung der Stimme, deren Bitte ich einfach nachkommen musste, wäre ich wohl einfach liegen geblieben. An den Weg erinnere ich mich nicht mehr. Auch nicht, wie ich in das Bett kam, in dem ich am nächsten Tag wieder erwachte. An das Gesicht, das mich über die Teetasse hinweg anblickte, die mir vor die Nase gehalten wurde, erinnerte ich mich aber sehr wohl. Sie lächelte. „Guten Morgen! Geht’s dir schon besser?“ Ich richtete mich ein wenig auf, schaffte es, mich umzusehen, und fiel wieder auf das Kissen zurück. Ich stöhnte, schloss die Augen und versuchte, herauszufinden, warum das, was vorher noch oben gewesen zu sein schien, plötzlich zu unten wurde und umgekehrt. Als ich die Augen wieder aufschlug, war ihr Lächeln verschwunden, und Sorge stand in ihrem Gesicht. „Ich glaube, du brauchst noch ein bisschen Ruhe. Soll ich später wiederkommen?“ fragte sie. „Nein!“ rief ich schnell. Irgendwie wollte ich nicht, dass sie ging. „Ich meine... wo bin ich?“ Ich wurde rot. „Oh, du bist bei mir“, antwortete sie. Gut, so schlecht ging es mir auch nicht, dass mir das verborgen geblieben wäre. Obwohl ich mir ein Mädchenzimmer vielleicht ein wenig anders vorgestellt hatte, etwas anderes konnte es eigentlich nicht sein. Es gab nicht viel darin, das Bett, in dem ich lag, einen Kleiderschrank, ein paar Stofftiere, und einen Tisch, um den ein paar Stühle standen, und auf dem Nähzeug lag. „Ich – ich habe dich hierher gebracht.“ Sie blickte zu Boden. „Ich wollte dich doch nicht liegen lassen. Meine Mutter hat dir den Tee gemacht!“ Sie hielt mir die Tasse hin, die ihr plötzlich wieder eingefallen war. Dankbar nahm ich einen Schluck. Er schmeckte nach Honig, aber auch ein wenig sauer. Die Tasse war warm, und ich umschloss sie mit meinen Händen. Nicht, weil es kalt war, ich hätte sonst einfach nicht gewusst, wohin damit. Ich versuchte, irgend etwas in dem Tee zu finden, ich wusste selbst nicht, wonach ich darin suchte. „Wieso hast du mich nicht liegenlassen? Woher wusstest du, dass ich dir nichts tue?“ fragte ich. „In deinem Zustand?“ Sie grinste. Ich sah sie an, und sie blickte zu Boden. „Meine Eltern waren dabei. Du bist Soldat, und es wäre nicht schwer, dich zu finden, falls etwas passieren würde, meinte mein Vater. Und wir könnten dich als Soldaten auch nicht einfach liegen lassen. Du könntest Probleme bekommen, wenn sie dich so fänden.“ Damit hatte sie recht. Niemand sagte zwar etwas, wenn man ein bisschen trank, ab und zu auch über den Durst, aber bis zur Bewusstlosigkeit - das war nicht gerne gesehen bei den Ausbildern. „Danke“ meinte ich, wurde rot und versteckte mich hinter der viel zu kleinen Tasse. Wieder ihr Lächeln. Sie spielte nervös mit der Decke. „Eigentlich wollte ich gar nicht so viel trinken“, sagte ich. Und dann fiel mir auch wieder ein warum: das Turnier! „Wie spät ist es?“ wollte ich wissen. Ich sprang auf, schlüpfte in meine Stiefel und begann sie hastig zuzuschnüren. Komisch – sie standen genau dort, wo ich sie normalerweise hinstellte. Meine Kleidung hatte ich noch immer an. Sie sah mich überrascht an. „Ich... viertel nach Elf war es eben noch.“ Ich hielt in meinem Tun inne, setzte mich wieder auf das Bett, blickte sie an und atmete erleichtert auf. „Puh! Um ein Uhr ist das Turnier. Ich dachte schon, ich wäre jetzt zu spät!“ „Turnier?“ fragte sie. „Ja, das Übungsturnier. Mit Waffen aus Holz. Das erste, bei dem ich mitkämpfen darf!“ erklärte ich stolz. „Ach so... ich dachte...“ Sie sah zu Boden, irgendwie verlegen. „Was?“ „Naja, ich hatte gehofft, du würdest noch mit uns essen.“ Ich biss mir auf die Unterlippe. Wie gerne hätte ich das getan! „Vielleicht... vielleicht ein anderes Mal?“ „Oh ja, wenn du möchtest!“ Nun lächelte sie wieder, und ich lächelte schüchtern zurück. „Oh! Ich heiße Adara. Und du?“ Sie reichte mir die Hand. „Go... Goran.“ Ich nahm ihre Hand und versuchte nicht zu fest zu drücken. Ich sah mich noch einmal um. „Ich glaube, ich sollte besser gehen... ich muss noch ein bisschen üben, weißt du?“ Eigentlich wollte ich bleiben. „Oh, natürlich. Ich... ich zeige dir den Weg. Sobald du deine Stiefel gebunden hast. Ich habe sie dir ausgezogen, ich hoffe, das macht dir nichts aus... aber, mein Bett...“ sie blickte mich fragend an und streichelte mit der linken Hand abwesend über die Bettdecke. „Nein, nein!“ versicherte ich ihr, während ich mich zu meinen Stiefeln herunter beugte, um sie fertig zu binden. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, aber sie schwieg und sah mir beim Binden zu. Dann standen wir auf, und sie führte mich herunter. Dort bedankte ich mich bei ihrer Mutter, die mich für irgendwann einmal zum Mittagessen einlud, und Adara führte mich zur Tür. Ich trat hinaus und drehte mich noch einmal herum. „Also...“ begann ich, aber ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte. Ich starrte verlegen zu Boden. Adara schien genauso verlegen zu sein, gab sich dann jedoch plötzlich einen Ruck und fragte: „Gibt es Zuschauer bei deinem Turnier?“ „Ja! Ich meine... es ist kein besonderes Turnier, also, es kann jeder kommen. Es ist auf dem Übungsplatz.“ Ob sie mich sehen wollte? Fragte ich mich voller Hoffnung. „Gut. Vielleicht... ich meine, ich muss meiner Mutter noch etwas helfen, aber vielleicht kann ich später kommen“ sagte sie. „Das wäre schön... ja. Dann... dann bis später?“ fragte ich. „Ja, bis später!“ Sie winkte mir zum Abschied zu, ich winkte zurück, und dann schloss sich die Tür. Ich machte mich auf den Weg zum Übungsplatz. Ich konnte mich nicht richtig konzentrieren, irgendwie waren meine Gedanken immer bei Adara. Selbst mit den Schwertern in der Hand – ich kämpfte schon damals am liebsten mit zwei Langschwertern – musste ich an sie denken. Ich freute mich darauf, sie wieder zu sehen, ja, ich wollte sogar für sie das Turnier gewinnen. Am Anfang war sie noch nicht da. Es war einfach, die ersten paar Kämpfe zu gewinnen. Auch danach wurde es nicht deutlich schwerer. Die anderen waren erschöpft, meine Ausdauer jedoch war groß, und mein Stärke ebenso, und so fiel es mir nicht schwer, mich bis in die allerletzte Runde durchzukämpfen. Vor der vorletzten Runde war Adara noch immer nicht da gewesen. Vor der letzten Runde sah ich mich noch einmal um. Mein Herz machte einen Sprung, als ich sie dort am Zaun stehen sah. Sie lächelte mich an, und ich winkte ihr zu. Sie winkte zurück. Ich atmete tief ein und wieder aus, drehte mich um und machte mich bereit für den Kampf. Leror, mein Gegner, war gut. Ich wusste das, ich hatte schon zuvor oft genug mit ihm geübt, denn er war der einzige, der für mich unter den jüngeren Rekruten eine Herausforderung darstellte. Er benutzte jedoch lieber Langschwert und Schild. Als wir beide bereit waren, kam das Signal. Der Kampf begann. Ich wusste, wie Leror kämpfte, und so fiel es mir nicht schwer, seinen ersten Schwerthieb zu parieren, als er gleich auf mich zu sprang. Mit der anderen Hand schlug ich zu, und er schaffte es gerade so, den Hieb mit seinem Schild zu parieren. Es krachte, und wir entfernten uns wieder voneinander. Dann begannen wir uns zu umkreisen. Hieb auf Hieb und Parade auf Parade folgte, wobei jeder die ganze Zeit versuchte, eine Schwachstelle beim Gegner zu finden, die er zu seinem eigenen Vorteil nutzen könnte. Ich fühlte die ganze Zeit, wie Adaras Blick auf mir ruhte. Es machte mich nervös. Plötzlich sprang Leror vor, stieß mir sein Schild entgegen und versuchte, mich mit dem Schwert zu treffen, als ich fast stolperte und versuchte, mich auf den Beinen zu halten. Ich schafft es gerade so, seinen Hieb zu parieren, wich ihm aus, ließ ihn an mir vorbeilaufen und versuchte, ihn von hinten zu erwischen. Aber er war zu schnell, er drehte sich um, parierte den Hieb mit seinem Schild und schlug selbst erneut zu. Aber ich hatte das erwartet. Ich wich dem Hieb aus, trieb Leror mit einer Gegenattacke zurück, schlug mit der Linken, dann mit der Rechten und wieder mit der Linken zu, doch er schaffte es, alle Hiebe zu parieren und wieder etwas Abstand zu gewinnen. Wieder umkreisten wir einander. Jeder versuchte immer wieder, den anderen zu täuschen, seine Deckung zu durchbrechen, doch der Kampf dauerte an. Leror begann zu keuchen, und auch ich kam langsam ins Schwitzen. Ich griff erneut an. Ich führte einen Hieb von oben mit meinem rechten Schwert, den er parierte, und gleich darauf stieß ich mit dem Linken auf seinen Bauch. Er musste sein Schild benutzen, um diesem schnellen Stoß zu entgehen, und ich sprang nach rechts, wo ich mit meiner Rechten versuchte, ihn an seiner nun ungeschützten linken Seite zu treffen. Leror sprang zurück und wich meinem Hieb gerade noch aus, doch er strauchelte und verlor für einen Moment das Gleichgewicht. Ich sah meine Chance gekommen, ich sprang vor und stach mit beiden Waffen gleichzeitig zu. Er schaffte es, meinen rechten Stoß mit seinem Schild zu parieren, doch mein Stoß mit der Linken traf in voll im Magen. Er ging zu Boden. Ich hatte gewonnen. Die Leute klatschten Beifall, während ich Leror die Hand gab und ihm beim Aufstehen half. „Guter Kampf,“ meinte er, „du bist einfach besser als ich, du Halbriese!“ Er lachte. Ich grinste. „Tja, du Zwerg, üb‘ noch ein bisschen, und du kannst mich vielleicht schlagen.“ Ich schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter und drehte mich um, um nach Adara zu sehen. Sie stand noch immer dort, wo ich sie vor dem Kampf gesehen hatte, und strahlte. Ich ging zu ihr. Als ich näher kam, rief sie: „Goran! So etwas habe ich ja noch nie gesehen! Du warst so gut!“ Ich wurde rot. Ich legte beide Hände auf den niedrigen Balken und sah zu Boden. „Ach, das war doch nichts besonderes. Ich habe schon oft gegen ihn gewonnen, im Training.“ Sie legte ihre Hände auf die meinen und sah mir in die Augen. „Es tut mir Leid dass ich erst so spät kommen konnte. Es hat etwas länger gedauert.“ Ihre Hände waren klein, aber warm, es fühlte sich so schön an, dass ich am liebsten ewig dort stehen geblieben wäre und ihr in die Augen gesehen hätte. Plötzlich nahm sie ihre Hände von meinen und umarmte mich über den kleinen Zaun hinweg. Ich erstarrte, und noch bevor ich mich wieder bewegen konnte, zog sie sich wieder zurück. „Ich glaube, du musst jetzt deinen Gewinn abholen“ sagte sie und zwinkerte. Ich drehte mich um und sah, dass schon alles für die Siegerehrung bereit stand. Alles blickte zu mir. Ich wurde rot, eilte aber schnell auf die Ausbilder zu. Nun, was dann geschah, war eigentlich eine ganz normale Siegerehrung. Ich durfte mir zwei Waffen oder ein Schild und eine Waffe vom besten Schmied weit und breit anfertigen lassen. Ich habe natürlich gesagt, dass ich zwei Langschwerter will. Die ganze Ehrung dauerte mir allerdings entschieden zu lange, ich konnte es kaum erwarten, wieder zu Adara zu gelangen. Endlich war die Prozedur vorüber, und man entließ mich und die anderen Teilnehmer in die Stadt, um das Liebste aufzusuchen, wie es genannt wurde, es bliebe jedem von uns überlassen, ob das nun ein Mädchen oder ein Bier war. Für mich war es Adara. Ich kann nicht sagen, warum ich sie nach so kurzer Zeit schon so gern hatte, es schien einfach, als wären wir der Griff und die Klinge eines Schwertes, das nur in dieser Zusammenstellung wirklich komplett und ausgeglichen war, in meiner Hoffnung passten wir so gut zusammen, als wären wir füreinander gemacht. Ich stieg über den Zaun, und sie kam auf mich zu. Ohne ein Wort zu sagen, aber indem sie mir tief und zärtlich in die Augen sah, nahm sie mich bei der Hand und führte mich fort. „Wohin gehen wir?“ fragte ich. „Irgendwohin“ sagte sie. Sie sah mich an. „Wo möchtest du denn gerne hin?“ „Ich... ich weiß nicht.“ Ich zuckte mit den Schultern. Am Ende waren wir nirgendwo und überall gewesen. Wir hatten uns lange unterhalten, waren an jeder Kreuzung einfach in die Richtung gegangen, in die uns unsere Nasen gelenkt hatten, und viel über einander gelernt. Sie war das erste Mädchen, in dessen Begleitung mir keine Missgeschicke passierten, und mit dem ich mich gut unterhalten konnte. Ich weiß nicht, ob das an ihr lag oder an mir oder daran, dass wir beide zusammen unterwegs waren. Aber an diesem Abend habe ich gelernt, wie man mit Frauen umgeht. Als es dunkel wurde, wurde sie langsamer und blieb schließlich ganz stehen. Sie sah zu Boden, drückte meine Hand. „Ich muss los. Meine Eltern werden auf mich warten.“ „Möchtest du, dass ich dich nach Hause bringe?“ fragte ich. „Nein, besser nicht.“ Meine Enttäuschung muss man mir wohl sehr gut angesehen haben, denn sie meinte: „Das hat nichts mit dir zu tun.“ Sie zögerte, dann legte sie mir die Arme um den Hals, zog mich ein wenig herunter und gab mir einen Kuss. Meine Lippen glühten. Ich kann ihren Kuss heute noch spüren, wenn ich mich darauf konzentriere. „Möchtest du am Samstag zum Essen kommen? Um eins?“ hauchte sie. „Ich... natürlich, gerne!“ Ich hatte schon Mühe, diese einfachen Worte herauszubekommen. „Gut, dann bis Samstag.“ Sie ging langsam rückwärts, während sie mir in die Augen blickte, ihre Hand hielt die meine, bis unsere Hände auseinander glitten. Dann drehte sie sich herum und lief davon. Ich stand noch etwa fünf Minuten an der gleichen Stelle und versuchte, mich zu sammeln, bevor auch ich mich auf den Weg in meine Unterkunft machte. Die Tage zogen sich dahin wie der Wind. Ich konnte an nichts anderes denken als daran, Adara wieder zu sehen. Und endlich war es soweit. Ich stand vor ihrem Haus und klopfte. Niemand machte auf. Ich wartete eine Weile, klopfte erneut. Immer noch nichts. Ich ging ein Stück zurück und sah mich um. Es war kein Mensch zu sehen. Ich ging wieder zur Tür und drückte die Klinke herunter. Sie schwang auf. Innen war es düster. Es waren keine Möbel mehr vorhanden. Ich biss mir auf die Lippen und trat ein. Ich zitterte. Es war nichts zu sehen, das Haus war wie ausgestorben. Ich ging nach oben, in Adaras Zimmer. Meine Schritte klangen hohl, die Treppe knarrte, als würde sie mich auslachen. Ein Stofftier lag in einer Ecke ihres Zimmers, mit einem Brief daran. „Goran“ stand darauf. Er roch nach ihr. Ich öffnete ihn und las.

„Lieber Goran,

es tut mir so leid, aber ich kann dir nicht mehr sagen, als dass ich es zutiefst bedauere, dass wir weg mussten. Ich konnte es dir nicht sagen, denn niemand darf erfahren, wo wir sind. Ich kann dir nicht einmal sagen, warum. Wer weiß, vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder, unter günstigeren Umständen. Ich wäre gerne bei dir geblieben. Du wirst mir fehlen, denn ich habe ein Stück meines Herzens bei dir gelassen.

In Liebe, Adara“

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Ich nahm einen tiefen Schluck aus meinem Bierkrug und stellte ihn mit einem Krachen wieder auf den Tisch zurück. „Die Schwerter habe ich immer noch. Sie waren lange Zeit die besten, die ich gefunden habe. Und ich bin weit gereist. Ihr wisst, ich bin als sehr guter Schwertkämpfer bekannt, und ich und meine Männer sind sehr gefragt. Wahrscheinlich kämpfe ich so gut, weil ich immer noch für sie kämpfe. Ich will, dass sie mich sieht, von mir hört und mich aufsucht. Doch so weit ich auch herumgekommen bin, Adara habe ich niemals wieder gesehen. Und auch kein anderes Mädchen, das mir auf den ersten Blick gefiel, und in dessen Gegenwart ich mich genauso wohl wie nervös fühlen würde wie bei Adara.“ Mein Gegenüber sah mich ernst an. „Wisst Ihr wenigstens, warum Adara die Stadt verlassen hat?“ fragte er. Ich seufzte. „Ich weiß leider nicht mehr, als dass Assassinen auf ihre Familie gehetzt wurden. Es muss wohl irgend etwas mit einem lange zurück gelegenen Geschäft zu tun gehabt haben, das ihr Vater einmal getätigt hatte. Jedenfalls hat die Garde ihnen geholfen, unbemerkt die Stadt zu verlassen und irgendwo neu zu beginnen. Doch sie haben dabei so gute Arbeit geleistet, dass ich es nicht einmal geschafft habe, herauszufinden, wo, als ich soweit aufgestiegen war, dass ich die richtigen Leute fragen konnte.“ Ich nahm einen weiteren Schluck. „Ich sage euch, mein Freund, es gibt wirklich richtige Liebe. Ihr werdet es merken, sobald sie euch streift. Verschließt euch nicht, vielleicht habt ihr mehr Glück als ich. Denn nicht allen begegnet sie im Leben. Und den wenigsten zweimal.“ Damit leerte ich meinen Krug, legte eine Münze auf den Tisch und verließ die Schenke. Es war düster, und es blitzte, als ich durch die Tür trat. Donner klagte und es regnete Tränen. Ich schwang mich auf mein Pferd, fuhr mit einer Hand in die Satteltasche und streichelte kurz das kleine Stofftier darin. Dann machte ich mich wieder auf den Weg, um in neuen Ländern zu kämpfen und zu suchen, nach Adara oder einem Mädchen, das mir genau soviel bedeuten kann wie sie es immer noch tut.