Legende: Ake Tonka

Meister sucht Schüler

Seid mir gegrüßt Wanderer. Ihr wollt also wissen wer ich bin und wo ich herkomme. Wo fange ich da nur an. Wer meine Eltern waren und wo ich meine frühe Kindheit verbrachte kann ich Euch nicht einmal berichten. Ich bin ein Findelkind. Mein Ziehvater erzählte mir, dass ich in der Wildnis gefunden wurde. Über die Umstände dieser Begegnung hatte er mir nie etwas Genaueres erzählt. Dieses Geheimnis nahm er leider auch mit in sein Grab. Möge sein Tapam seinen Weg in das Reich der Ahnen gefunden haben.

Mein Ziehvater hieß Tarvok und war Schamane des Stammes. Es war ein einfaches kleines Volk mit dem ich aufwuchs. An die 200 Menschen lebten in dem Tal das wir bewohnten. Kar Tock wurde es von uns genannt, was singende Steine in eurer Sprache bedeutet. Der Name entstand durch mehrere Steinsäulen aus vergangener Zeit, die am Eingang des Tales empor ragten. Immer wenn der Wind an den Säulen vorüber zog, konnte man das Jahrhunderte alte Klagelied der Steine hören. Eben Singende Steine. Kar Tock. Die Bewohner verehrten die Natur und ihre Geister. Man versorgte sich selber mit dem nötigsten was man zum Leben brauchte. Alles was die Natur zu verschenken hatte wurde genutzt und nichts davon verschwendet. Man ging zusammen zur Jagd, zum Angeln oder zum Früchte sammeln. Es waren einfache Menschen, die sehr abergläubig waren. Die Dorfbewohner munkelten über meinen Ziehvater. Er sei von einem Fluch bestraft worden. Die meisten glaubten, die Götter hätten entschieden, dass er kinderlos bleiben soll. Er hatte vor meinem „Erscheinen“, wie er es immer nannte, schon 2 Frauen gehabt. Beide wurden zwar schwanger und schenkten Tarvok je einen Sohn. Jedoch verstarben seine beiden Frauen bei der Geburt. Da auch beide Söhne kurz nach der Geburt starben, nannte man Tarvok hinter vorgehaltener Hand auch Tarsoks. Das bedeutet in eurer Sprache „Kinderloser“ und wird normal über Stammesbewohnern gesagt wird, die mit ihren Lenden dem Stamm kein neues Leben schenken können. Offen traute es sich aber Niemand das zu sagen. Als Schamane des Dorfes war er neben dem Häuptling der mächtigste Mann gewesen. Niemand hätte es gewagt, es sich mit den heilenden und hellseherischen Fähigkeiten meines Ziehvater leichtsinnig zu verscherzen. Doch Tarvok spürte das seine Zeit gekommen war einen Nachfolger zu erziehen und seine Kunst zu lehren. In dieser Zeit fand er mich als kleinen Sprössling. Er nahm sich meiner an und erklärte mich zu seinem neuen Sohn. Niemand war begeistert von dieser Idee. Aber dies spürte ich als Kind kaum. Doch ich war anders als die Anderen. Und mit jedem Sommer der verging zeigte man das mir deutlicher.


Früh übt sich

Sommer für Sommer verging die Zeit. Mein Vater lehrte mich allerlei. Das man nur Lernen muss still zu sein, um die Natur um einen herum zu verstehen. Er zeigte mir, aus dem was mir die Natur zeigte Schlüsse zu ziehen. Wie man mit Hilfe der Natur in der Wildnis überleben kann. Als ich älter wurde begann er mir die Naturgeister nach und nach vorzustellen. Er zeigt mir wie man Tiere zu sich rufen kann und sich ihre Fähigkeiten zu nutzen machen kann. Er lehrte mich in Heil und Kräuterkunde, zeigte mir die Sprache der Sterne am Himmel.


Die Weihe

Dann war es endlich soweit. Meine Weihe stand bevor. Am frühen Morgen zog ich aus, einen Ort zu finden um meine Vorbereitungen zu treffen. Als ich einen für mich geeigneten Ort fand, begann ich sogleich mit den Vorbereitungen. Mit Liedern und Gesang versucht ich in die Welt der Natur und Geister einzutauchen. Räucherstäbchen und speziell geräucherte Kräuter halfen mir dabei. Ich versuchte alles um mit der Natur in Einklang zu kommen, mit den Geistern meiner Umgebung zu reden und um Rat bei meiner bevorstehenden Prüfung zu bitten. Doch die Natur prüft ihre Zöglinge gnadenlos. Es dauerte nicht lange als die ersten Käfer versuchten, mich von meinem Singen abzuhalten. Wobei ich mich davon nicht ablenken ließ. Selbst dann nicht, als die ersten Kraxler meinen Mund erreichten. Ich muss gestehen, die kleinen braunen Dinger schmeckten vorzüglich. Aber es wurde immer schlimmer. Die ersten Vögel begannen mit einem Frosch im Chor mit ihrem Gezwitscher und Gequacke gegen mich zu stimmen. Da dachte ich schon, die Natur hätte sich gegen mich verschworen. Aber kaum dachte ich daran, dass es schlimmer nicht kommen konnte, quellten die ersten dunklen Wolken genau über mir auf. Keinen Augenblick später spürte ich die Nässe und ich wusste, dass dieser Ort doch nicht meine Beste Wahl war. Die Natur gab mir zu verstehen, dass meine erste Wahl eher meiner Bequemlichkeit diente. So machte ich mich wieder auf und suchte einen neuen Platz. Die Natur war mir dort gnädig. Alles verlief so, wie es die Überlieferungen berichten. Ich befragte die Naturgeister die mich umgaben und erfuhr das ein oder andere von meinem Totem und meiner bevorstehenden Reise zu ihm. Ich musste mich nun in die Bewusstlosigkeit treiben. Ich tanzte und wirbelte herum bis meine Kräfte nachließen. Nebel bildete sich um mich und ich schwebte. Na ja, wie ich später spürte schwebte ich nicht, sondern stürzte. Aber egal, der Nebel um mich verzog sich und vor mir formte sich ein Schatten der auf mich zukam. Endlich begegnete ich meinem Totem, meinem Begleiter für die Zukunft. Eine Kraft, die mir die Natur zu meinem Schutze anbietet. Der Himmelswolf. Ein großer grau-brauner gefleckter Wolf. Seine Augen funkelten. Je ein grau und ein braunes Auge strahlten mich freundlich an. Nach einem kurzen Moment schnupperte er an mir und legte sich danach an meine Seite und begann meine Hand zu schlecken. Ich hatte meinen treusten Gefährten gefunden und mehr noch. Wir waren verschmolzen. Wann immer ich die Stärke, die Geschicklichkeit, den Geruchsinn oder den Scharfsinn des Himmelswolfs gebrauchen würde, war er an meiner Seite und würde mir die Kraft geben die ich brauche.


Der Verlust

Ab diesem Tag wurde ich meinem Namen gerecht. Ake Tonka. Ake steht für Tanz und Tonka steht für Geister. Der mit den Geistern tanzt. Oder in eurer Sprache, einfach Geistertänzer. Aber nur mein Vater lobte mich für die bestandene Prüfung. Im Dorf würde ich entweder gemieden oder beschimpft. Auch Freunde aus meiner Jugend mieden mich. Entweder aus eigenem Willen oder sie wurden von ihren Eltern dazu gezwungen. Eines schönen Sommertags geschah es dann. All der Hass der mir entgegen geworfen wurde begann mich zu beeinflussen. Wut entbrannte in mir. Unkontrollierbare Wut. Ich war außer mir. Ich wollte allen meine Macht zeigen. Ich werde jeden töten, der mir und meinem Vater entgegentritt. Es geriet außer Kontrolle und ohne zu wissen was ich tat erflehte ich die Natur zur Hilfe. Ich beschwor die Natur, mir die fehlende Stärke und Brutalität zur Verfügung zu stellen. Ich formte meine Bitte und sprach sie aus. Unheil und Verderben sollten sie heimsuchen, die die versuchten mich zu vergiften. Erschöpft brach ich zusammen. Mit Schrecken beobachten die Dorfbewohner das Schauspiel. Stille breitete sich aus. Unglaubliche Stille. Die ersten Bewohner begannen zu kichern, zeigten auf mich beschimpften mich wieder. In diesem Moment barstet eine der Strohhütten in zwei Teile. Ein Schlinger stampfte ins Lager. Eine große Echse, die aufrecht gute 20 Ellen misst. Bestückt mit einem Maul voller Reißzähne und zwei kleinen mit großem Krallen ausgestatteten Ärmchen. Der acht Ellen lange Schwanz der Bestie schwang einmal hin und her und glättete damit die Reste der Strohhütte. Was hatte ich da nur angerichtet. Angst überkam mich. So schnell mich meine Beine tragen konnten lief ich davon. Im Augenwinkel sah ich, wie die vor Angst verwurzelten Bewohner einer nach dem anderen getötet wurden. Ich jedoch floh und kehrte erst spät Abends zurück. Der Häuptling trat mir entgegen sagte mir, ich müsse jetzt stark sein. Er erzählte mir, dass sich ein Schlinger ins Dorf verirrt hätte und dass nur mein Vater diesem Ungeheuer die Stirn hatte bieten können. Doch als die Bestie tödlich getroffen zu Boden stürzte, begrub die Masse des Toten Schlingers meinen Vater. Jede Hilfe kam zu spät für ihn. Niemand wusste, dass es meine Schuld. Das der Schlinger wegen mir das Dorf aufgesucht hatte. All diejenigen, die die Beschwörung mit angesehen hatten waren tot. So wurde ich der Schamane des Stammes. Es war ein stolzer Preis, den ich für dieses nicht gewollte Amt zahlten musste. Und Niemand kannte mein Geheimnis, meine dunklen Alpträume, die mich dies immer und immer wieder erleben lassen. Der Tot meines Vater lastete schwer auf mir. Hätte ich mich nur besser unter Kontrolle gehabt. Wäre ich nur gegen die Bestie angetreten. Doch nun war alles zu spät. Ich war noch nicht bereit, meine Ausbildung noch nicht beendet. Und doch mimte ich den Schamanen. Aber ich schwor mir: „Nie wieder werde ich die mir von der Natur verliehenen Kräfte missbrauchen. Nie wieder werde ich fliehen vor einer drohenden Gefahr.


Verstoßen

Egal wie sehr ich mich bemühte, ich konnte es dem Dorf nicht recht machen. Jedes Unglück, das unser Dorf ereilte wurde mir zugeschrieben. „Der Schamane hätte es voraus sagen müssen“ sagten sie. Als es mir im Sommer nicht gelang, die lange Dürre zu bekämpfen und meine Regentänze ohne Antwort blieben, wurde die Lage für mich immer schlimmer. Nach der Dürre kam auch prompt die Antwort auf meine Regentänze. Es regnete tagelang und was die Dürre nicht zerstörte hatte wurde Tage später weggeschwemmt. Die Stimmen wurden laut, ich hätte nicht nur den Fluch von meinem Vater geerbt. Nein, man sagte, dass mein Ziehvater mit meiner Ausbildung den ganzen Stamm ins Unglück gestürzt hatte. Ich wusste einiges lag an mir. Ich war nicht reif für die Aufgaben eines Dorfschamanen. Aber ich gab mir größte Mühe. Doch schaffte ich es nie, meine Macht so gezielt einzusetzen wie mein Ziehvater. Ich stand kurz vor der Entscheidung das Dorf freiwillig zu verlassen. Doch dann geschah das größte Unglück. Der Sohn des Häuptlings, der einzige Erbe der Nachfolge wurde schwer verletzt zu meiner Hütte gebracht. Auf der Jagd nach Beute für unser Lager wurde er von einem Säbelzahntiger angefallen und tödlich verletzt. Ich kämpfte die ganze Nacht um sein Leben und opferte zu seinen Gunsten einen Teil meiner eigenen Lebenskraft. Doch nicht nur meine Lebenskraft floss in den Häuptlingssohn, nein auch die Verschmelzung mit dem Himmelswolf floss zu ihm. Erst am Morgen des nächsten Tages begann seine Genesung. Nach einem Mondwechsel war er völlig geheilt. Aber ab diesen Tag verschwanden Nachts immer wieder Bewohner des Dorfs. Keiner wusste was mit ihnen geschah. Sie verschwanden spurlos. Wir organisierten Nachtwachen um diesem Treiben ein Ende zu setzten. Eines Nachts war es dann so weit. Es wurde Alarm geschlagen und die Krieger eilten bewaffnet aus ihren Hütten. Auch ich beschwörte mir zwei Schutzgeister und machte mich auf, dem Dorf zur Seite zu stehen. Ich wusste, keine Furcht würde mich mehr zwingen zu fliehen. Was ich auf dem Markplatz sah lies mein Blut in den Adern gefrieren. Dort stand sie. Eine Wolfsbestie. Wildes Rotes Feuer loderte in ihren Augen. Böse begutachtete die Bestie ihre Lage. Sehr schnell und gerissen bewegte sie sich durch die Massen an Kriegern. Aber die Masse war erdrückend und auch meine zwei Schutzgeister trugen dazu bei, die Bestie zu Fall zu bringen. Als die Wolfsbestie noch zuckend am Boden lag versammelten sich die Bürger um die Kreatur. Das zucken wurde immer schlimmer und die ersten Schwerter und Spieße wurden zum Schutz vor der Bestie gehalten. Die Kreatur krümmte sich und es schien, als würde sie ihr Fell verlieren. Mit einem lauten Aufschrei kam das Gesicht des jungen Häuptlingssohnes aus dem Fell zum Vorschein. Wenig später lag er windend und zusammengekrümmt völlig nackt vor der Meute des Lagers. Ich wollte noch mit heilender Kraft helfen, doch es war schon zu spät. Zu schwer waren seine Wunden. Er hatte es nicht geschafft, die Kraft die er von mir bekam zu kontrollieren. Die Kraft und die Wildheit vermischten sich mit seinen Jagdinstinkten. Er war in dieser Nacht nicht er selbst gewesen. Ein dunkles Wesen hatte aus seinem Inneren Flucht gefunden. Noch bevor ich versuchen konnte meine heilenden Kräfte einzusetzen ging die Meute auf mich los. Sie lasteten mir an, ich hätte den Häuptlingssohn aus Eifersucht verzaubert. Der Häuptling ging zwischen die Meute und beendete die Schläge, die sich über mich ergossen. Man sah ihm seine Trauer und seinen Schmerz an. Mit leisen aber bedachten Worten sprach er für mich die Verdammung aus. Ich dürfte erst wieder zurückkehren, wenn ich den Fluch der auf mir lasten würde bekämpft hätte und ich die Erfahrung und die Weisheit besitzen würde, dem Stamm zu dienen. Schwer verletzt und voller Trauer verließ ich den Stamm in Richtung Sumpf. Ich musste versuchen mich zu schulen, mehr zu lernen, mehr zu verstehen, um als mächtiger Schamane zurück zu kehren und dem Stamm wieder aus dieser schweren Zeit zu helfen. Ein Stamm ohne Schamane ist gezwungen sich einem anderen Stamm anzuschließen. Ohne einen Schamanen besteht für die Normalen kein Kontakt zu den Geistern der Natur. Kein Schutz, keine Heilung bei schweren Krankheiten oder Verletzungen. Ich werde zurück kommen und dem Stamm helfen, die Größe und Stärke zu erlangen, wie es einst mein Ziehvater geschafft hatte. Möge sein Tapam, seine Seele stolz auf mich sein. Viele Abenteuer und Aufgaben warten auf mich. Möge der Himmelswolf mir beistehen.

Ake Tonka
Der einsame Schamane