Legende: Yliriel

Nur schwach kann ich mich an das erinnern, was in meine Jugend geschah... aber diese grauenhafte schwarze Gestalt auf diesem Untier werde ich wohl nie vergessen können, genauso wie Tingraling. Doch von Anfang an:

Ich war der Erstgeborene von Danilaia und ich erinnere mich an die Lieder, die sie mir an meiner Schlafstatt hoch oben in unserem Baum sang. Und an ihre warmen Augen, wenn sie mich am Ufer des Baches wusch. Vater, oh Vater .... Abilion war sein Name, ich habe nur noch ein Bild vor Augen, wie er nach erfolgreicher Jagd beladen mit seiner Beute, bejubelt vom Dorf aus dem Wald zurückkehrte. Wie lange ist das her?.... Ewigkeiten, ja es müssen Ewigkeiten sein, so schwach sind die Erinnerungen. Stark ist der Schmerz, denn nun steigen die Bilder der Zerstörung in mir auf, unser Dorf in Schutt und Asche, qualmend schwarze Baumstämme, zerrissene Hängebrücken, herabgestürzte Baumhäuser. Und Tote, überall Tote. Und Stille, kein Laut drang an mein Ohr.

Ich war Spielen im Wald, hatte mich verloren in der Jagd nach Schmetterlingen. Erst Stunden später kehrte ich zurück. Der Schock ließ mich zu Stein erstarren. Erst als etwas schwarzes dicht an mir vorbei zischte und ein stechender Schmerz an meinem Ohr mich zur Besinnung brachte, wurde ich der Gestalt auf der anderen Seite der Lichtung gewahr. Jene schwarze Gestalt auf dem Untier. Unter dem schwarzen Umhang glühende Augen... oder war das nur eine Einbildung? Ich weiß es nicht.

Ich rannte, ein lang gezogener Schrei erfüllte die Luft... war es mein Schrei? War es diese Gestalt? Ich rannte bis zur völligen Erschöpfung, schließlich brach ich wie ein gehetztes Tier zusammen, zerkratzt, blutend, elend, um Atem ringend, das Herz rasend, stechend. Und Dunkelheit, Dunkelheit die mich umfing.

War ich tot? Nein, da waren wieder die Schmerzen der Kratzer, das Ohr schmerzte im Rhythmus des Herzschlags. Mir war kalt, ich lag zusammengerollt zwischen den Wurzeln eines Malornbaumes und über seiner Krone prangten die Sterne am Himmel. Bald schlief ich wieder ein, nachdem ich mir mit Farnwedeln eine provisorische Decke gemacht hatte. Als ich aufwachte, war es schon fast Mittag. Ich setzte mich auf und etwas stach mich in den Nacken. Ich fasste nach Hinten und fühlte einen Stock, der sich in meinem langen Haar verfangen hatte. Ich nestelte ihn aus meinem Haar. Es war ein schwarzer Pfeil! Der Pfeil, der mein Ohr verletzte!

Von nun an streifte ich alleine durch die Wälder, ein Junge der noch nicht einmal die Initiation zum Erwachsenen gemeistert hatte. Ich traute mich nicht zurück zum Dorf, zuviel Angst hatte ich vor dem Schwarzen. Ich wanderte ruhelos umher, immer tiefer in den Wald, ernährte mich von Beeren und Kräuter, mein Jagdglück ließ mich nur seltene und kleine Beute machen. So verging die Zeit, ich wurde älter und war schließlich zu einem jungen Burschen heran gewachsen.

Am Rande einer Lichtung machte ich ein Schläfchen zwischen den sonnenbeschienenen Brettwurzeln eines Baumes, als ich ein Sirren hörte, wie von einem großen Insekt... aber nein, da war etwas seltsames in diesem Geräusch, ein leises Klingeln, als wenn man hohle Glasstäbe aneinander schlägt. Etwas berührte leicht mein Knie. Als ich aufblickte, saß da eine kleine Gestalt mit kleinen durchsichtigen, zarten Flügeln, die an Libellen erinnerten, auf meinem Knie und sah mich mit unverhohlener Neugier an. Die Gestalt sah so zierlich und zerbrechlich, fast gläsern aus, das ich mich nicht traute auch nur zu Zucken, aus Angst es könnte herunterfallen und zerspringen. So saßen wir wohl minutenlang da, ohne uns zu rühren. Bis dieses Wesen zu sprechen begann. Eine hohe, melodische Stimme zwitscherte Worte in einer unverständlichen Sprache. Das ging eine Weile so weiter und ich hatte das Gefühl, das das Wesen langsam ungeduldig wurde. Schließlich schwieg es, schaute mich grimmig an, sprang in die Luft, flog über meinen Kopf und zupfte mir ein Haar aus. Ich zuckte und rieb mir den Kopf, was das Wesen mit einem klockenartigen Kichern quittierte.

So lernte ich Tingraling kennen, ein Fey, wie er sich nannte. Ja, es war eine jener sagenumwobenen Feen. Mein ungeduldiger Lehrmeister von nun an, er brachte mir bei was ich zum Überleben im Wald brauchte und ein klein wenig Zauberei. Nie war er zufrieden mit mir und besonders nicht mit meinen "stümperhaften Versuchen der Magie Herr zu werden", wie er es nannte. Manch großen Zauberer habe ich inzwischen bei der Ausübung seiner Kunst gesehen, jedoch keiner reichte bis jetzt heran, an das was Ting vollbrachte. Ich war immer wieder erstaunt, ja erschrocken, welch gewaltige Magie in diesem kleinen Körper steckte.

Feyen sind ein seltsames Völkchen. Nun gut, ich kenne nur diesen einen, aber sein Verhalten läßt doch einige Rückschlüsse zu. Er hatte ein diebisches Vergnügen daran, mich zu ärgern, er zupfte an meinem Haaren, bliess in mein Ohr, wenn ich schlief, warf mir von oben Tannenzapfen auf den Kopf oder legte mir heimlich eine Schlingpflanze um die Füße, so das ich hinfiel wenn ich loslief. Und immer kicherte er dazu mit seiner hohen Stimme.

Einmal wollte ich ihn aus Ärger fangen. Der Schlag, der meinen Körper durchzuckte, belehrte mich eines Besseren. Nie wieder versuchte ich diesen Leichtsinn, nur den Heilkräften Tings habe ich es zu verdanken, das ich noch alle Glieder gebrauchen kann. Er jedoch verlor kein Wort darüber und unterrichtete mich schon wenig später weiter, als wäre nichts geschehen. Deswegen nahm ich auch seine Warnung sehr ernst, ihm nie durch ein Dornengebüsch zu folgen, in das er sich zurückzog um zu schlafen. Dieses Gebüsch war kreisrund und bestimmt 20 Schritte im Durchmesser. In seinem Innern wuchsen die Bäume und das Unterholz so dicht, das selbst für einen Halbling dort kein Durchkommen gewesen wäre. Eines Tages jedoch, ich war gerade am Fluss, um mich zu säubern, fielen glühende Gesteinsbrocken vom Himmel herab, genau in jenes Gebiet das Ting mir so streng verboten hatte. Ich wusste, das er sich zu diesem Zeitpunkt dort aufhielt, mir wurde Angst und Bang und so rannte ich los, um zu sehen, was passiert war. Als ich an der Dornenumrandung ankam, war diese an einigen Stellen zerrissen und verbrannt von den herabstürzenden Steinen. Ich lief voll Sorge um Ting hinein und fand zu meinem Entsetzen am Boden die angekokelten Überreste kleiner Flügel. Ich wollte mich gerade hinunterbeugen um die Flügelchen aufzunehmen, als mich ein Schlag wie ein Titanenhammer traf. Ich wurde bestimmt zehn Schritte zurück geworfen, und weiter prasselten unsichtbare Schläge auf mich ein.

Als ich aus meiner Ohnmacht erwachte, saß mir Ting mit traurigem Gesicht auf einem Ast gegenüber. Ich war völlig verstört, denn es war Ting gewesen, der mich so mit Zauber bepflastert hatte. Er erklärte mir, das er mich nun nicht mehr in der Nähe seiner Behausung dulden könne, denn ich hätte mein Versprechen gebrochen, ihm nie hinter die Dornenbüsche zu folgen. Alle meine Erklärungen, es nur in Sorge um ihn gemacht zu haben, nützten nichts.

Er blieb hart, denn ich wusste nun, das er nicht alleine dort wohnte. Er hatte mich, wie auch immer, in einen weit abgelegenen Teil des großen Waldes gebracht und hatte mir mit einem Zauber die Erinnerung an den Ort seiner Heimat genommen. Er verabschiedete sich von mir und ich glaube eine Träne in seinen Augen gesehen zu haben. Ich für meinen Teil ließ den Tränen und der Trauer freien Lauf. Ich hatte das Verlangen ihm nachzulaufen, aber das wäre ein sinnloses Unterfangen, wenn Fey nicht verfolgt werden wollen (und das wollen sie meistens) dann verstehen sie es meisterhaft, sich unauffindbar zu machen.

Nun ja, das Leben im Wald ist mir fürs erste vergällt, zu sehr erinnert mich alles an Ting. So entschloß ich mich, in die Welt hinaus zu ziehen um andere Wesen kennen zu lernen, von denen mir Ting berichtet hatte. Besonders diese Menschen, die Ting immer als die "kurzlebigen Tölpel" bezeichnete, wollte ich kennen lernen. Oder Zwerge, Ting sagte "Kurzbeine" oder "bärtige Stinker" zu ihnen, machen mich neugierig. Und Drachen, von ihnen sprach Ting immer in Ehrfurcht.

Als letztes gab mir Ting den Rat, mich zuerst bei den Grauelfen umzusehen, um mir etwas Benehmen anzueignen, wie er sagte. Was immer er damit meinte......